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Lesetipp: Woran die Medizin krankt

Eine sehr lesenswerte und präzise Zusammenfassung der aktuellen Probleme in der Medizin ist letzte Woche im BMJ erschienen. Ben Goldacre und Carl Heneghan vom CEBM beschreiben, an welchen wichtigen Stellen die Medizin krankt und wie sie zu heilen wären. Einige Vorschläge beziehen sich explizit auf das Gesundheitssystem in Großbritannien, andere wären aber global umsetzbar:
  • Publikationsbias: Wenn die Ergebnisse klinischer Studien nicht veröffentlicht werden, wird die zugängliche Evidenz verzerrt. Die Autoren schlagen vor, ein Audit-System einzurichten, damit wirklich die Ergebnisse aller Studien publiziert werden.
  • Unabhängige Studien: Werden Studien durch den Hersteller gesponsort, gehen sie fast immer zugunsten des neuen Wirkstoffs aus. Um zuverlässige Erkenntnisse zu gewinnen, sind daher mehr unabhängige Studien notwendig.
  • Kosten von Studien: Klinische Studien sind meist sehr aufwändig und kostenintensiv. Die Autoren schlagen deshalb vor, entsprechende Untersuchungen (etwa "head-to-head"-Studien von bereits zugelassenen Wirkstoffen) besser in die Routineversorgung einzubinden, damit sich Follow-up-Daten auch aus den bestehenden elektronischen Gesundheitsakten gewinnen und nutzen lassen.
  • Bessere Evidenz: Zum Zeitpunkt der Zulassung ist die Datenlage für neue Wirkstoffe meist noch ziemlich mager und beruht nicht selten ausschließlich auf Surrogatmarkern - gleichzeitig beginnt aber eine gigantische Marketing-Kampagne. Die Autoren schlagen vor, dass die Hersteller zu einem Langzeit-Follow-up der Patienten aus den Zulassungsstudien zu verpflichten, damit überhaupt Erkenntnisse zur Langzeitanwendung und patientenrelevanten Endpunkten entstehen können. Gleichzeitig könnten bei unklarem Nutzen des neuen Medikaments Patienten auch in der Routineversorgung randomisiert zu neuer oder bisheriger Therapie zugeteilt werden, um zusätzliche Daten zu generieren. 
  • Shared decision making: Die gemeinsame Entscheidungsfindung mit dem Patienten unter Berücksichtigung seiner Wünsche und Präferenzen hinkt in der Praxis immer noch ihren Möglichkeiten hinterher. Goldacre und Heneghan schlagen deshalb ein finanzielles Anreizsystem für Ärzte vor, die shared decision making tatsächlich praktizieren (in Großbritannien wurde wohl vor kurzem eine Prämie für Ärzte ausgesetzt, die mehr Patienten Statine verschreiben).
  • Interessenkonflikte: Die bisherigen Systeme zur Erklärung von Interessenkonflikten halten die Autoren für unzureichend, da die entsprechenden Daten unvollständig, inkonstistent und unübersichtlich sind. Sie befürworten daher, beim General Medical Counsil (vergleichbar mit den Ärztekammern in Deutschland) ein zentrales Register einzurichten, um größere Transparenz zu schaffen.

BMJ 2015;350:h3397