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Lesetipp: Was taugt PFS als Endpunkt in onkologischen Studien?

Vor einiger Zeit hatte ich ja bereits über Diskussionen zum Stellenwert bestimmter Endpunkte in onkologischen Studien berichtet. Seitdem haben sich aber noch einige lesenswerte systematische Übersichten angesammelt, die sich speziell dem progression-free survival (PFS), auf Deutsch dem progressionsfreiem Überleben widmen.

Vielleicht kurz vorab: PFS ist ein zusammengesetzter Endpunkt und misst die Zeit, bis eine der Komponenten eintritt (was auch immer zuerst kommt): Tod, radiologisches Fortschreiten (Tumorwachstum von mindestens 20%) oder symptomatisches Fortschreiten. Wie bei allen zusammengesetzten Endpunkten ist es auch beim PFS interessant, welche Komponente meistens die erste ist und damit der wesentliche Treiber für das Erreichen des Endpunkts. In den meisten Studien scheint das das radiologische Fortschreiten zu sein, was aber gleichzeitig auch die am wenigsten patientenrelevante Komponente ist [1].

Expert*innen diskutieren sehr kontrovers, ob PFS jetzt ein patientenrelevanter Endpunkt ist oder ein Surrogat. Die Zulassungsbehörden akzeptieren in der Regel PFS als Endpunkt für Zulassungsstudien von Onkologika. Deshalb ist es sehr relevant, wie aussagekräftig PFS tatsächlich ist. Diese Fragen haben einige Übersichtsarbeiten untersucht.

Frage 1: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem PFS und dem Gesamtüberleben (overall survival, OS)?
Dieser Frage hat sich ein im Januar 2019 erschienener Overview gewidmet, der Meta-Analysen von RCTs ausgewertet hat [2]. Die Meta-Analysen waren für bestimmte Settings im Bereich der Onkologie als Validierungsstudien für den Zusammenhang zwischen verschiedenen Surrogat-Parametern und dem Gesamtüberleben angelegt und berechneten Korrelationen. Für den Endpunkt PFS fanden die Autor*innen insgesamt 83 Meta-Analysen in verschiedenen onkologischen Settings. Bei knapp der Hälfte war die Korrelation zwischen PFS und niedrig, bei rund einem Drittel moderat und nur bei jeder fünften hoch. Angesichts der weiten Verbreitung von PFS als Endpunkt ist das natürlich alles andere als optimal.

Frage 2: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem PFS und der Lebensqualität (quality of life, QoL)?
Der Zusammenhang zwischen PFS und OS ist also in den meisten Settings eher niedrig bis moderat. Aber wie sieht es mit der Lebensqualität aus? Auch das wurde in einem systematischen Review untersucht, der im Oktober 2018 erschienen ist [3]. Für die Analyse genutzt wurden Phase-3-Studien zu fortgeschrittenen oder metastasierten soliden Tumoren, bei denen sowohl PFS als auch QoL berichtet wurden. Das Ergebnis: Die Korrelation zwischen positivem PFS und positivem QoL (Datenbasis = 76 Studien aus großen Journals, veröffentlicht zwischen 2010 und 2015) war sehr niedrig. Und die Effektgröße (HR) des PFS war auch kein starker Prädiktor für eine positive Veränderung bei QoL.

Die gleiche Frage hat eine weitere systematische Übersichtsarbeit im Dezember 2018 [4] mit einer etwas anderen Methodik (Regression der Veränderung von PFS und QoL) auf der Basis von RCTs mit Chemotherapien adressiert: Die Autor*innen konnten auf der Datenbasis von 38 Studien (publiziert zwischen 2000 und 2016) mit der gewählten Methodik keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Verbesserung des PFS und der Verbesserung der QoL feststellen.

Ob eine Verlängerung des PFS mit einer Verbesserung der Lebensqualität einhergeht, ist also sehr fraglich.

Frage 3: Ist PFS für Patient*innen wichtig?
Selbst wenn OS und QoL schlecht oder gar nicht mit PFS korrelieren, könnte ein längerer PFS möglicherweise doch für Betroffene wichtig sein. Das hat eine systematische Übersichtsarbeit (erschienen im September 2019) versucht herauszufinden [1], die entsprechende Einzelstudien mit Patientenbefragungen zusammengefasst hat. Aus mehreren Gründen konnten die Autor*innen der Übersichtsarbeit aber keine verlässlichen Schlussfolgerungen ziehen: So waren etwa die Erklärungen, was PFS genau bedeutet, in den Studien sehr variabel - und das beeinflusst natürlich auch die Einstellungen der Patient*innen, besonders wenn sie dadurch PFS und OS nicht eindeutig unterscheiden können.

Wer sich für die Details interessiert, dem sei diese Podcast-Episode von Plenary Session empfohlen, in der der Erst-Autor mit Host Vinay Prasad die Befunde und weitere Erkenntnisse zum Stellenwert von PFS ausführlich diskutiert.




Fazit
Nach den vorliegenden Daten sieht es so aus, als ob PFS in den meisten Fällen tatsächlich ein Surrogat und kein patientenrelevanter Endpunkt ist. Deshalb wäre es höchst sinnvoll, sich in onkologischen Studien nicht auf PFS zu verlassen, sondern gleich OS und QoL zu messen. Es könnte natürlich sein, dass die Studien dann nicht zum gewünschten Ergebnis führen...

Referenzen

[1] Raphael M et al. The Value of Progression-Free Survival as a Treatment End Point Among Patients With Advanced Cancer: A Systematic Review and Qualitative Assessment of the Literature. JAMA Oncol. Published online September 26, 2019. doi:https://doi.org/10.1001/jamaoncol.2019.3338

[2] Haslam A et al. A systematic review of trial-level meta-analyses measuring the strength of association between surrogate end-points and overall survival in oncology. Eur J Cancer 2019; 106: 196-211

[3] Hwang T et al. Association between progression-free survival and patients' quality of life in cancer clinical trials. Int J Cancer. 2019 Apr 1;144(7):1746-1751. doi: 10.1002/ijc.31957. Epub 2018 Dec 6.

[4] Kovic B et al. Evaluating Progression-Free Survival as a Surrogate Outcome for Health-Related Quality of Life in Oncology. JAMA Intern Med. 2018 Dec; 178(12): 1586–1596